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¡Llévame de vuelta, por favor! – Spanischaustausch Bueu 2019

Ein Bericht von Jette Blome

Fernweh. Dieses Wort beschreibt das Gefühl nach dem Austausch ganz gut. Eine Woche scheint erstmal nicht viel zu sein, jedoch hat sich diese Woche wie eine zu kurze Ewigkeit angefühlt, denn man hat nicht nur die Stadt kennengelernt und ein paar nette Aktivitäten unternommen, man wurde Teil eines Lebensgefühls, welches dem Deutschen nicht wirklich ähnelt.

Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich wäre mit einem super Gefühl in den Austausch gegangen. Jeder von uns neun Deutschen hatte, mal mehr, mal weniger, Angst. Angst vor dem Ungewissen. Angst davor, sich nicht verständigen zu können. Angst vor allem Möglichen. Das gehört dazu, irgendwie. Und ich muss sagen, hätte man mir im Flughafen angeboten, umzukehren, ich hätte es getan. Aber zum Glück tat das keiner, denn sonst hätte ich wohl mit einer der wichtigsten Wochen in meinem Schulleben verpasst. Denn nach diesen zwölf Jahren Schule denkt man nicht an die Klausur, die man in der siebten Klasse, zweites Halbjahr versemmelt hat, oder an das eine Mal in der EF, als man die Hausaufgaben vergessen hat. Man denkt an gemeinsame Exkursionen, als keiner genau wusste, was man eigentlich in einem römisch-germanischen Museum tun soll. Oder an die Generalprobe vor dem Theaterstück im Diff-Kurs. Oder eben an Fahrten und Austausche.  Man erinnert sich an die Gefühle, die man gehabt hat. An das Gemeinschaftsgefühl mit der Klasse. Man erinnert sich an das Zwischenmenschliche. Und das ist, was am Ende wirklich zählt.

Dieser Austausch, aber generell jeder Austausch, bot einem die Möglichkeit, eigene Grenzen kennenzulernen, seinen Horizont zu erweitern. Am Anfang schien es unmöglich, überhaupt auch nur irgendein Wort zu verstehen, geschweige denn selbst mehr zu sagen als und bien, doch ich kann euch versichern, dass das besser wird mit der Zeit. Man legt die Angst ab, tausend Mal über einen Satz nachdenken zu müssen, bis man ihn wirklich sagt, denn man hat einfach keine andere Wahl als zu sprechen, auch wenn es manchmal nur mit Händen und Füßen geht.

Die Sekunden, in denen man im Bus sitzt und auf die Schule zufährt, sind wahrscheinlich am schlimmsten von allen, weil man den Gedanken „wir sind ja noch nicht da“ nicht länger vor sich herschieben kann. Jetzt wird es ernst. Die Austauschschüler warten schon vor der Schule und man muss erkennen, dass es jetzt kein Zurück mehr gibt. Man steigt aus, sucht seinen Austauschpartner und sein Gepäck, hält das Gastgeschenk bereit. Und in dem Moment, als meine Spanierin mich in den Arm genommen und mich voller Freude mit zwei Küsschen begrüßt hat, war die Angst wie weggefegt. Es gab keinen Grund mehr, ängstlich zu sein, denn die Herzlichkeit, die einem von Beginn an „entgegensprühte“, nahm einem all die Sorgen. Jetzt war es schon gleich nicht mehr so schlimm, dass es kein Zurück mehr gab.

Ich musste feststellen, dass es eine Sache ist, Urlaub in Spanien zu machen, es aber eine ganz andere ist, wenn man in einer echten spanischen Familie lebt, die echte spanische Mentalität miterlebt. Alles scheint anders zu sein.

Es fängt an mit dem Tagesrhythmus. Man steht morgens um 7:30 Uhr auf, da die Schule aber auch erst um 8:50 Uhr beginnt. Die Schule geht so bis 14 Uhr. Abends gibt es manchmal noch so etwas wie Vertiefungskurse, an denen man teilnehmen kann, aber sonst endet der Schultag für gewöhnlich gegen 14 Uhr und das jeden Tag. Auch der Unterricht ist nicht mit dem deutschen zu vergleichen. Alle reden durcheinander, keiner hört wirklich zu, keiner schreibt wirklich mit. Zumindest war es so in den Probestunden, an denen wir teilgenommen haben. Alles in allem scheint Schule nicht die oberste Priorität zu sein, nicht so wie es einem oft in Deutschland vorkommt, wo man von 8 Uhr morgens bis manchmal 16:30 Uhr in der Schule rumhängt und dann noch manchmal in jedem Fach netterweise von den Lehrern Hausaufgaben im Umfang von zehn Minuten aufbekommen hat, was sich am Ende, wenn man alle Fächer addiert, schnell auf zwei Stunden hochschaukelt. In Spanien zählt, vor allem bei Jugendlichen unseres Alters, Freundschaft und Familie viel mehr. Nach der Schule trifft man sich mit Freunden. Aber nicht nur mit einem oder zwei, sondern mit vier oder fünf weiteren. Man geht spazieren am Strand, kauft sich Süßigkeiten in einem kleinen Süßigkeitenladen um die Ecke, der ein bisschen an Harry Potter erinnert, oder setzt sich, ganz typisch spanisch, in eine der zahlreichen Bars. Sehr beliebt in Bueu ist die Planta Baja. Hier trifft man gefühlt alle Jugendlichen des Ortes und alle scheinen sich untereinander zu kennen. Es wird Eiskaffee getrunken. Aber nicht Eiskaffee, wie man ihn aus Deutschland kennt, denn Eiskaffee in Spanien bedeutet ganz einfach eine Tasse heißen Kaffee, in die man Unmengen an Zucker schüttet und schließlich einfach in ein Glas mit Eiswürfeln umschüttet. Das gleiche geschieht mit Eistee, versteht sich. Außerdem wird geraucht. Sehr viel geraucht. Und Kartengespielt. Von der etwas heruntergekommenen Terrasse hat man einen perfekten Blick auf Bueu und den kleinen Hafen, von wo aus damals die Fischerboote in See gestochen sind. Denn ein wichtiger Teil der Geschichte der Stadt ist der Fischerei, denn durch den Betrieb der Familie Masso war dies einer der bedeutendsten Teile der Wirtschaft der Stadt und ihrer Umgebung in den zwanziger und dreißiger Jahren. Auf jeden Fall verweilt man in diesen Bars dann meistens so bis 21 Uhr, wenn man nicht noch mit dem Bus in eine der nächst größeren Städte wie Cangas oder Pontevedra fährt, was noch eine Sache ist, die in Spanien so viel besser ist als in Deutschland. Man kann einfach mal ganz spontan in andere Städte mit öffentlichen Transportmitteln fahren, ohne dabei 10 Euro allein für die Fahrt ausgeben zu müssen, denn der Bus kostet nur 1,40 Euro. In Harsewinkel ist eine Fahrt der gleichen Strecke dreimal so teuer. Abends kommt man dann so gegen 21-22 Uhr wieder nach Hause, wo dann alle gemeinsam Essen. Und es wird viel gegessen. Sehr viel. Und das Essen ist lecker. Gegessen wird bis Mitternacht und danach spielt man vielleicht noch Karten oder man quatscht noch. Schlafen vor Mitternacht – eher unwahrscheinlich und das jeden Tag. Aber wenn man sich erstmal an diesen Rhythmus gewöhnt hat, geht es eigentlich.

Alles wirkt so sorglos und einfach. Man hat neue Freunde gefunden, eine neue Familie vielleicht, obwohl man sich 70% der Zeit eher weniger versteht. Man hat neue Lieblingsorte gefunden. Und in Bueu gibt es reichlich davon. Die wunderschönen, weißen Strände, die süßen kleinen Gassen, die Wälder, die Buchten, die Bars. Man wurde Teil eines Lebens, welches frischen Wind in das eigene gebracht hat, denn auch eine Woche nach dem Austausch wandern die Gedanken immer noch um das Erlebte und das Gefühlte in dieser kurzen Zeit. Man kommt verändert wieder. Mit mehr Wissen und vielleicht auch mit mehr Verständnis für gewisse Dinge.

Wenn man die Chance hat, solche Reisen mitmachen zu dürfen, sollte man diese lieber nicht vergeuden, denn diese Zeiten sind um Welten bedeutender als alles, was man in der Schule lernt.